Billard, Kartenspiel und Toccadille…

…ebenso Whist, L’Hornbre, Tarock, Tresette, Pikett, Baston und Solo … diese heute weitgehend unbekannten Spiele erfreuten unsere Harmonie-Altvorderen offensichtlich jeden Tag. Ja, das haben Sie richtig gelesen: täglich! Bereits 1799 schrieb F. G. Leonhardi über die Harmonie, sie sei eine Vereinigung mehrerer hiesiger Kaufleute, Künstler und Gelehrten hauptsächlich „zu dem Endzwecke, dass sie außer dem Genusse des geselligen Vergnügens vorzüglich hiesige Hausarme durch milde Beyträge“ unterstützen wolle.

Und weiter:

In dieser Rücksicht werden jährlich zwey Hauptconvente gehalten, wobey auch Einheimische als Gäste erscheinen, und während der Mahlzeit sammelt man dann eine Collecte für die Armen. Seit der Stiftung hat diese achtungswerthe Gesellschaft bis zum Sep­tember 1789 bereits an 831 dürftige Per­sonen aus allen Ständen 10.109 Thaler 13 Groschen vertheilt.

Gegenwärtig besteht sie aus hundert Mitgliedern, wovon die eine Hälfte aus Kaufleuten, die andere aber aus Gelehrten und Künstlern besteht… „

Nachzulesen ist jedoch auch, und damit werden die täglichen Treffen erklärbar, dass man die Zeit „theils mit Unterredungen, theils mit Lesen in der damit verbundenen Bibliothek der Gesellschaft, wo man außer den schätzenswerthesten Schriften auch die besten Zeitungen und Journale antrifft“, nutzte.

Also eine Art Clubleben gab es damals in Leipzig, hier trafen sich die Männer (und zunächst nur diese!), scheinbar von keinerlei Zeitnöten geplagt, besprachen ihre geschäftlichen Vorhaben, lasen die verschiedenen Zeitungen, die sie ver­mutlich damit privat nicht zu abonnieren brauchten.

Und hatten die Möglichkeit, halt zur Entspannung auch ein Spielchen miteinander zu machen, insbesondere das Billardspielen war so gut, dass Herr Leonhardi bemerkte, „auf welchem hier starke Künstler angetroffen werden“.

Zur Ehrenrettung muss jedoch gesagt werden, dass die Harmonie sehr wohl in erster Linie ernsthaftere Zielsetzungen seit ihrer Gründung verfolgte, als in unserer kleinen Einleitung dargestellt.

Die Jahre 1770 und 1771 müssen schwere Hungerjahre in Leipzig gewesen sein, damit hing wohl zusammen, dass sich in den Folgejahren neben der späteren Harmonie auch andere Gesellschaften gründeten, um unverschuldete Armut lindern zu helfen.

Diese Wohltätigkeit aufzunehmen, war für unsere hierzu betrachtende Gesellschaft zunächst der Anlass für eine lockere Vereinigung. Gelehrte, Künstler und Beamte trafen sich im Winter 1775/1776 im „Blauen Engel` in der Petersstraße und nannten sich, der Jahreszeit geschuldet, die „Wintergesellschaft“. Schon bald war das Interesse, wie sich denken lässt, groß und es gab binnen kurzer Zeit eine stattliche Mitgliederzahl. Daher beschloss man, mit einer Verfassung oder Satzung eine feste Rechtsform zu begründen, deren erster Entwurf am 7. Januar 1776 von einhundert Mitgliedern unterzeichnet wurde. Nach mehrfachen Änderungen, ein solches kennen auch wir Heutigen zur Genüge, blieb schließlich die Satzung vom 3. September 1776 lange Zeit gültig.

Nach einer schriftlichen Umfrage, dieses Prozedere wird noch in anderem Zusammenhang darzustellen sein, gab sich die Gesellschaft am 16. Juli 1776 den Namen „Harmonie“.

Am 27. Februar 1776 jedoch wurden die ersten zwölf Vorsteher gewählt und daher ist für uns Nachfolgenden, in Anlehnung an die vorangegangenen Jubelfeiern, dieses Datum das Gründungsdatum der Harmonie.

Grüne Tafeln, grüner Teppich

Bei dieser Schilderung wird uns manches verwundern, zu lange ist es her.

Da ist die Sache mit den beiden Klassen, in die sich die Mitglieder teilten. Allerdings sollte unter diesen „ohne Rücksicht auf Stand oder Rang die genaueste Gleichheit“ stattfinden.

Ob das wohl möglich war? Ernst Kroker beschreibt die beiden Stände so, „die eine Klasse wird von Gelehrten, Beamten, Künstlern und solchen Personen gebildet, die von ihrem Gelde leben; die andere besteht aus wirklich handelnden Kaufleuten.“

Nur wenn ein Stelle „durch freiwilligen Abgang oder Tod“ frei wurde, konnte sie wieder besetzt werden und zwar nur in der entsprechenden Klasse.

Vorschläge für die Wahl neuer Mitglieder, deren Gesamtzahl auf 100 festgelegt wurde, mussten mindestens acht Tage vorher bei der Vorsteherschaft angemeldet werden, wenigstens 51 Mitglieder mussten sich an der Abstimmung beteiligen. Je sechs Mitglieder aus den beiden Klassen bildeten die Vorsteherschaft, also zwölf. Jedes Jahr zu Michaelis gab es Wahlen: vier Vorsteher schieden aus und vier neue kamen hinzu. Bisher haben wir nicht gefunden, nach welchen Kriterien man dabei vorging. Denn: Die Vorsteher wählten nun ihrerseits unter sich auf je zwei Jahre den Kassierer und Vizekassierer aus der Klasse der Kaufleute, die wohl besser rechnen konnte, sowie aus der Gelehrtenschaft den Sekretär und Vizesekretär.

Bemerkenswert ist auch, dass festgelegt wurde, in besonders wichtigen Angelegenheiten auch die vorige Vorsteherschaft hinzuzuziehen. Alle Bekanntmachungen sollten an einer grünen Tafel angeschlagen werden, ebenso gab es eine zweite Tafel mit den Namen der Vorsteher und ein aktuelles Mitgliederverzeichnis. Diese Tafeln standen stets in den Versammlungsräumen. Übrigens wurden dort auch die Ergebnisse der Sammlungen sofort angeschlagen. Später saßen dann die Vorsteher bei allen Zusammenkünften gemeinsam an einem Tisch neben besagten grünen Tafeln und sinnigerweise auch auf einem grünen Teppich.

Alle Mitglieder erhielten zu den Hauptversammlungen Einsicht in Protokoll- und Kassenbücher und nahmen das auch wahr.

Die Hauptzielsetzung und Absicht der Gesellschaft der Harmonie jedoch be­stand darin, wen wunderts, sich die „Freuden des Wohltuns und der Unterstützung zu verschaffen“, so stand es geschrieben. Und das ging so:

Der Inhalt der Sammelbüchsen und des an den beiden Jahresversammlungen an der Tafel herumgereichten Kollektenbeutels war für die Unterstützung der Armen bestimmt. Hatte ein Mitglied etwas Erfreuliches erlebt, wurde gleichfalls ein Beitrag für diesen Zweck erwartet. Mit der Summe der jährlichen Mitgliedsbeiträge wurde wie folgt verfahren: Ein Drittel war für das Kapital der Gesellschaft bestimmt, das nicht angegriffen werden durfte. Von dessen Zinsen hin wiederum wurde gleichfalls ein Drittel für Bedürftige bereitgestellt. Blieb von den Mitgliedsbeiträgen nach Abzug des bewussten Drittels und aller „Bedürfnisse“ noch etwas übrig, gelangte dies ebenso in die Armenkasse.

Unbescholtene und selbständige Angehörige der gebildeten Stände konnten Mitglieder der Harmonie werden. Unehrenhafte Handlungen oder „Bankrott“ sorgten für Ausscheiden, jedoch mit einer Klausel für den Wiedereintritt, für alle Fälle… Fünf Taler Eintrittsgeld und zu Ostern noch einmal vier Taler waren zu entrichten; und sogar die Stunden für die weiter oben beschriebenen „Vergnügen des Umgangs und zulässiger Zeitkürzungen“ waren satzungsmäßig festgelegt: nachmittags von vier bis acht.

Die ersten Vorsteher seien hier namentlich erwähnt: Oberpostkommissarius Freystein, Ratsherr Dr. Müller (1778 Bürgermeister von Leipzig), die Universitätsprofessoren Dr. Platner und Dr. Pohle, Konsistorialrat Dr. Bahrdt und Ratsherr Dr. Green aus den Reihen der Gelehrten, die Herren Dufour-Pallard, Duvigneau sr., Loth, Frenkel, Bachmann und Frege jr. aus der Kaufmannschaft.

Lokalitäten, Herr Storch, Armenkonzerte,
Gartenlustbarkeiten und Königs Geburtstag

Sechzehn Jahre, von 1775 bis 1791, besuchten die Mitglieder der Gesellschaft als Versammlungsort den „Blauen Engel“, vom Hintergebäude der ersten Jahre zog man alsbald ins Vordergebäude mit „vier Zimmern vorn heraus“. Und diese Zimmer nun wurden wiederum den einzelnen Betätigungsfeldern zugeteilt – Sie erinnern sich? Mit dem Wirt, Herrn Orb, gab es schon bald mannigfache Verhandlungen und vieles kommt einem ganz und gar heutzutagig vor: Jährlich waren beispielsweise 230 Taler Miete zu entrichten, die, falls ein Mietabschluss von drei Jahren erfolgte, um 30 Taler nachgelassen werden konnten usw.

Ganz demokratisch ging es zu, als die beträchtliche Unzufriedenheit über die Lokalität begehrliche Blicke auf eine andere richten ließen: den zweiten Stock des Romanushauses in der Katharinenstraße. Weil zu teuer (650 Taler!), was eine Erhöhung der Beiträge zur Folge gehabt hätte, musste nun die Gesamtmitgliederschaft entscheiden und das zog sich hin, weil im August 1786 zu mehreren Wahlterminen eben die erforderliche Mehrheit nicht zustande kam. Und nun kam oben genannter Herr Storch ins Spiel, der als Diener und Türsteher von der Gesellschaft angestellt war und eigentlich Brettnitz hieß. Herr Storch, das möchten wir Ihnen nicht vorenthalten, erhielt übrigens zu Weihnachten eine „Ergötzlichkeit“ von zwei Talern, 20 Groschen.

Aber zurück zu unserer Geschichte: Herr Storch musste, neben anderen Aufgaben, auch, wie im Falle dieser schwierigen Wahl, Umfragen der Vorsteherschaft erledigen, was im Klartext hieß, per pedes zu einzelnen Mitgliedern hin, Frage stellen, Antwort mitnehmen, zurück.

Schließlich kam die Gesellschaft anderweitig zu Stuhle: nämlich im Gräflich-Hohenthalschen Hause oder Hohmanns Hof in der Petersstraße (heute Petersstraße 15, Messehof). Hier wurde 1791 der erste Stock gemietet und ansprechend eingerichtet, sodass Professor Ernesti als Sekretär für das Protokollbuch nur lobende Worte fand:

Es speißten zu Mittag gegen 70 Personen, während dass die Absingung einer von Herrn Capellmeister Hiller verfertigten Cantate Aller Herzen mit den angenehmsten und rührendsten Empfindungen erfüllte.“

Diese Bewirtung erfolgte, offensichtlich mobil, wie auch fernerhin, durch das Hotel de Saxe in der Klostergasse.

Bereits seit 1778 hatte auf Veranlassung des Musikdirektors Hiller das Direktorium des Großen Konzerts die Hälfte des Ertrages der jährlich einmal stattfindenden Armenkonzerte der Harmonie zugewendet.

Auch unter Hillers Nachfolgern gelangten über einhundert Jahre lang diese Gelder an die Harmonie, erst 1884 wurde dies durch die Zahlung einer Jahresrente von 200 Mark beendet.

Lesen Sie bitte, sicher mit Schmunzeln, eine Übersicht aus dieser Zeit:

1778, 5. April

Abraham auf Moria, in dem Saale der Musikübenden Gesellschaft; die Hälfte des Ertrags ergab 46 Taler 16 Groschen.

1779, 21. März

Saul und die Gewalt der Musik, ebenda; 42 Taler 4 Groschen.

1780, 13. März

Der Tod Jesu, ebenda; 52 Taler 18 Groschen.

Eine große Rolle spielten sommerliche Gartenvergnügungen. Leipzig mit seinen weitläufigen, unterschiedlich gestalteten Gärten im heutigen Zentrum muss dazu animiert haben, sich als Gesellschaft im Freien zu treffen, sich „zu ergehen“. Der Rückzug ins Private, in „Mein-Garten-Meine-Welt“, unverkennbar eine Frucht der Neuzeit.

Es war ebenfalls „in“, aufs Land zu gehen und manche Vororte der Stadt, wie Gohlis, blühten auf zu beliebten Villenstandorten. Heute würden wir von den Gefahren der Suburbanisierung sprechen! Verschiedenen Gärten im Bereich des heutigen Zentrums der Stadt Leipzig wurden durch die Harmonie gemietet, u. a. der Bosische Garten (heute Peterssteinweg) und der Ernestinischen Garten (heute dem Neuen Rathaus gegenüber).

1798 ließ dann das Interesse daran nach, sodass die heftig debattierte Frage, welcher Garten denn in diesem Jahr bevorzugt würde, vernachlässigt werden konnte.

Der 23. Dezember war Königs Geburtstag, der auch von der Harmonie immer festlich begangen wurde, wenn auch in der Franzosenzeit um 1813 mit Einschränkungen. 1818 war fünfzigjähriges Regierungsjubiläum; es wurde nach Absingen mehrerer patriotischer Lieder ein silberner Pokal gestiftet, aus dem hinfort bei allen Gelegenheiten der Sekretär auf das Wohl des Landesvaters und der Kassierer auf das Wohlleben der Gesellschaft tranken. Na prost denn!

Übrigens war man um die Jahrhundertwende dazu übergegangen, die Bewirtung bei den Zusammenkünften durch die dienstbaren Geister übernehmen zu lassen, die damit ihr Salär etwas aufbessern konnten. Bei einem „kleinen freundschaftlichen Souper“ , sonnabends halb 9 Uhr, gab es denn ein Vorgericht mit Fleisch und Zugemüse, einen Braten und Obst zum Nachtisch, überdies Salat, Brot und „andere Erfordernisse“ und all das für zwölf Groschen. Ein gewisser Hang zur Sparsamkeit lässt sich bei unseren harmonischen Vorfahren nicht leugnen: vier Groschen Stöpselgeld musste bezahlen, wer seinen eigenen Wein mitbrachte, und die Höhe des Stöpselgeldes richtete sich nach der Qualität des mitgebrachten Weines!

50 Jahre nach der Gründung der Gesellschaft Harmonie 1826, gab es das Stiftungsfest zu feiern, das wegen der Handelskrise auf den Dezember verlegt wurde. An zwei aufeinander folgenden Abenden versammelte man sich mit großem Vergnügen im Konzert- und Ballsaal des Gewandhauses.

Besonders prächtig wird der 4. Dezember geschildert, hier nahmen über 700 Personen teil „darunter vorzüglich zahlreiche und in jeder Hinsicht ausgezeichnete Tänzerinnen“. Erst gegen 4 Uhr sei „Alles auseinander“ gewesen! Und um das Sittenbild zu erweitern, möchten wir den letzten Teil eines Festgesangs zitieren, der sicher von großen Schlucken aus erwähntem Silberpokale unterbrochen wurde:

Zerriß das Schwert

auch unser schönes Land:

Ein Häuflein bleibt,

das muthig Ihm vertraute;

Die Muse bleibt,

die heimisch sich hier fand, Altären hold,

die Sein Geschlecht ihr baute; –Uns Sachsen all,

umschlingt ein heilig Band,

In frischem Zweig

verjünget sich die Raute! Einmütig denn und freudig rufet aus:

HOCH LEBE

FRIEDRICH AUGUST

UND SEIN HAUS!“

Umzug ins Preußische Haus mit Festliedern, die Bibilothek und ABM

Man mag es nicht glauben, auch von einem „ärgerlichen Vorkommnis“ müssen wir berichten, wieder einmal ging’s ums Geld: der Mietzins im Hohenthalschen Hause wurde, nach Ansicht der Harmonie-Mitglieder sehr zu Unrecht, ständig erhöht. Am 7. Juni 1842 nachmittags (!) trafen sich zufällig der Besitzer, Graf Hohenthal, und ein Dr. Mothes – beide Mitglieder der Gesellschaft – auf der Petersstraße, es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der „der Graf schließlich handgreiflich wurde“! Wie sich denken lässt, gab es kein Halten: Ausschluss! Auszug!

1844 ging die Harmonie also ins Preußische Haus (Goethestraße 6, vormals Großes Kolleg, 1943 Totalverlust), in einen Neubau, und richtete eine Reihe von größeren Gesellschaftszimmern ein. Festlieder waren damals offenbar eine beliebte Angelegenheit; auch zum Einzug wurden mehrere davon gedichtet, die zu vorhandenen Melodien gemeinsam gesungen wurden. Übrigens mit verteilten Rollen, Chor und ein Solo; und mit Worten wie „ein donnernd Lebehoch“ endigten die Verse zumeist.

Um diese Zeit tauchen in den Berichten erstmals auch die Damen auf, wenn auch in zeittypischer Aufmachung:

Gebt Acht! nach diesem Schmause,

Falleri, Fallera, nach dem Schmause,

Kömmt Jed‘ aus stiller Klause

Und küsset ihren Herrn. „

Hoffentlich zu beidseitigem Amüsement!

Die Mitgliederzahl der Harmonie wurde nun auf 200 erweitert, später gar auf 250 und noch später auf 300. Das hatte handfeste Gründe. Die Mitgliedsbeiträge! Und immer wieder findet man das Bemühen verzeichnet, das Verhältnis der beiden Klassen ausgewogen zu halten.

Eine große Rolle scheint die sich ständig erweiternde Bibliothek gespielt zu haben; so sollte jedes neu eintretende Mitglied ein Buch in die Bibliothek oder einen Beitrag in die Bücherkasse stiften. Es gab sowohl populärwissenschaftliche Zeitschriften, als auch den Teutschen Merkur als auch die Gazette literaire de l’Europe, die Göttinger Gelehrten Anzeigen, das Hamburgische Intelligenzblatt und andere. Bemerkenswert ist, dass diese Angebote ständig betreut wurden, man veraltete abschaffte, modernere abonnierte. Ebenso interessant finden wir das Bemühen um Zeitnähe und Aufklärung: Während der Unabhängigkeitskriege der Vereinigten Staaten kaufte man beispielsweise amerikanische Landkarten. Gefe­stigte Bildung, halt auf dem Laufenden zu sein: ein wesentliches Anliegen der Gesellschaft Harmonie.

1877 erfolgte mit erneuerter Satzung der Eintrag der Gesellschaft Harmonie ins Genossenschaftsregister, was sich folgerichtig noch 1994 als problematisch erweisen sollte. Der Mitgliedsbeitrag betrug nun einschließlich Bibliotheksbeitrag 45 Mark. Es erfolgte eine Verlängerung der Öffnungszeiten der Räume bis „ 10 Uhr des Abends“.

Wenn Sie die Überschrift gelesen haben, werden Sie im Begriff ABM sicher einen Druckfehler vermuten. Wir fanden mitteilenswert, dass schon im Dezember 1777 auf Anregung von Herrn Frege Arbeitsfähigen zu einer Arbeitsgelegenheit verholfen werden sollte. 60 Paar Frauenstrümpfe waren immerhin das stolze Ergebnis der Anschaffung von Garn und Stricknadeln durch die Harmonie, die nun für bescheidene zehn Groschen weiter angeboten wurden.

Der Gedanke der Arbeitsbeschaffung führte dann 1892 zur Errichtung eines Arbeitshauses für Freiwillige, das gleichfalls durch Mitglieder der Harmonie angeregt wurde.

Armenfürsorge, die Errichtung der Gertrudstiftung

Das Engagement der Gesellschaft Harmonie im sozialen Bereich weitete sich immer mehr aus.

1803, mit der Einrichtung einer städtischen Armenanstalt, zu der auch die Harmonie Beiträge gab, verringerte sich zwar die individuelle Zahlung an die Bettelarmen, jedoch beteiligte man sich 1804 schon vor der Eröffnung der ersten Bürgerschule der Stadt an Freistellen für geeignete Kinder. Ebenso blieb man bei der Zahlung von Lehrgeld für ältere Knaben bei einem Handwerksmeister, manchmal auch für „Bett und Aufgedingegeld„.

Witwen und Studenten standen ebenso im „Hauptbuch der Almosenempfänger“ wie die Armen, deren Zahl man sich allerdings weiter zu verringern anschickte, indem die „weder zu den Verschämten noch wirklich Bresthaften Gehörigen“ gestrichen wurden.

1829 betrug die Summe, die an Arme verteilt wurde, 43.100 Taler. Dem gegenüber verzeichneten die Vorsteher einen immer stärkeren Rückgang auf der Einnahmenseite, und klagten, dass, während früher Erträgnisse von 300 Talern und mehr bei den Hauptversammlungen eingenommen wurden, diese nunmehr zuweilen unter 30 Taler herabsänken.

Eine hochwillkommene und dauer­hafte Änderung der Finanzverhältnisse und eine feste Grundlage, die weiteres Engagement der Gesellschaft ermöglichte, gab es erst 1881 mit der Gertrudstiftung Wilhelm Seyfferths.

Die beiden großen Stiftungen, mit denen der Bankier Geheimer Kammer­rat Wilhelm Theodor Seyfferth die Stadt Leipzig und die Gesellschaft Harmonie bedacht hat, hängen mit dem frühen Tod seiner beiden Töchter zusammen. Die älteste Tochter, Johanna, war mit dem Bankier Dr. Friedrich Gustav Schulz vermählt und starb am 28. April 1858; nach ihrem Namen hat Seyfferth den schönen, nach Lennes Entwürfen ange­legten Park, den er schon 1865 der Öf­fentlichkeit erschloss und letztwillig der Stadt übergab, Johannapark genannt. Die zweite Tochter, Gertrud, war mit Wilhelm von Minskwitz, Oberleutnant und Adjudant … verlobt und starb als Braut am 28. Januar 1865 am Nervenfieber Zu ihrem Gedächtnis errichtete Seyfferth in seinem Testament … die Gertrudstiftung, deren Verwaltung er der Harmonie anvertraute, und deren Satzungen er … selbst niederschrieb. Die Stiftung betrug 300.000 Mark, und die Zinsen waren dazu bestimmt, Frau­en und Jungfrauen zu unterstützen, die ihren Ernährer verloren hätten, oder deren Ernährer unfähig geworden sei, sie zu erhalten: Nur Personen aus den höheren Ständen, nicht der Arbeiterklasse, sollen nach den Statuten berücksichtigt werden…. Die Bedürftigen sollen entweder eine einmalige oder periodisch wiederkehrende Unterstützung erhalten … oder eine Gewährung von Betriebskapital zur Gründung eines geschäftlichen Erwerbs als rückzahlbar gedeckten Vorschuß…“.

Die Verwaltung dieser Stiftung führte zur Bildung eines Ausschusses und der Beschäftigung eines eigenen Protokollanten, und, solcherart gestärkt, wurden im Jahr 1882 11.600 Mark in Beiträgen von 50 bis 1.000 Mark an 74 Personen gezahlt, erfreulicherweise darunter und extra vermeldet: „42 Leipzigerinnen“.

Ein schlimmes Ereignis war die große Überschwemmung am Pretziner Wehr in Schönebeck im Frühjahr 1876. Schnell reagiert: Schon am 24. März 1876 veranstaltete die Harmonie einen großen Wohltätigkeitsball zum „Besten der Ueberschwemmten von Schönebeck“.

Vereinigung mit der Erholung 1887 und Bau des Gesellschaftshauses

Die Gesellschaft Erholung, 1819 gegründet, war, wie man sich denken kann, ein ausgesprochen fideler und feierfreudiger Verein. Zu unserem Bedauern erfordern Aufgabe und Umfang unserer Festschrift, auf eine Wiedergabe manch kurioser, ja sogar frivoler Festlieder und Dichtwerke dieser Gesellschaft zu verzichten.

Zwei ihrer angesehensten Mitglieder seien hier erwähnt: Dominic Grassi und der uns schon bekannte Wilhelm Seyfferth, die beide gleichzeitig Mitglieder der Harmonie waren.

Unter den 237 Mitgliedern der Erholung fanden sich übrigens 31 gleichzeitig im Mitgliederverzeichnis der Harmonie; Söhne und Neffen von Harmonie-Mitgliedern standen in den Reihen der Erholung, es gab also viele Querverbindungen, so dass der Gedanke an eine Vereinigung beider nicht auf taube Ohren stieß.

Ähnlich wie bei der Erholung, die seit ihrer Gründung gleichfalls immer in Gasthäusern getagt hatte, wurde indes auch bei der Harmonie der Wunsch nach einem eigenen Gesellschaftshaus immer größer und hier lag letztlich auch der Grund für den nach einigem Hin und Her stattfindenden Zusammenschluss, denn finanziell war dies nur ge­meinsam zu bewerkstelligen.

Interessanterweise bewies nun die Erholung Geschick und Eile und sicherte 1884 ein Grundstück „in der schönsten Lage der Stadt“, am Roßplatz, mit 898 Quadratmetern Bodenfläche, zudem wurde eine Bauanleihe in Höhe von 400.000 Mark in wenigen Tagen von den Mitgliedern der Erholung gezeichnet. Das hin wiederum führte denn doch zu etwas Verstimmung bei den Harmonischen, ja es gab sogar den Ruf „Zurück“! Es war Bürgermeister Dr. Tröndlin, der die Vorteile einer Vereinigung schließlich beschlussfähig machte, unter anderem auch durch den Hinweis auf eine notwendige Verjüngung der Harmonie durch die Aufnahme jugendlicher Mitglieder; wie sich die Bilder gleichen!

Allerdings ging’s dann mit dem Beschluss, in den Kaufvertrag der Erholung einzutreten, doch nicht so schnell; drei Hauptversammlungen der Harmonie waren dazu nötig (1884, 1885) und erst im April 1887 kam es zur Wahl eines gemeinsamen Vorstandes.

Manch bekannte Namen finden wir hier und so möchten wir diese nennen:

Bürgermeister Dr. Tröndlin, Exzellenz General von Tschirschky, Reichsanwalt Stenglein, Dr. Arthur Becker, Franz Gontard, Ackermann-Teubner, Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. Benno Schmidt, Dr. Max Engel, Buchhändler Carl Geibel, Julius Zöllner, Kaufmann Alexander Crayen, Emil Beyer.

Unter den Vorstehern wurden dann Stenglein zum Sekretär und Dr. Engel zum Vizesekretär, Gontard zum Kassierer und Crayen zum Vizekassierer gewählt. Natürlich gab es auch einen Bauausführungsausschuss unter Vorsitz von Dr. Tröndlin. Einen unter deutschen Architekten ausgeschriebenen Wettbewerb (also auch dies nicht eine Erfindung unserer Tage) gewann Arwed Roßbach, ein Baumeister. Der Vollständigkeit halber möchten wir noch die Summen erwähnen, die für die Gewerke zum Ansatz kamen: 121.710 Mark für die Maurerarbeiten, 28.500 Mark für die Zimmerarbeiten.

Schwierigkeiten bei der Gründung des Gebäudes machten eine kostenintensive Betonierung nötig, auch hinsichtlich der Steigerung der Löhne und Preise für Baustoffe hatte man sich verschätzt. Schließlich jedoch obsiegte bei der Abwägung der erforderlichen Mehraufwendungen doch der Wunsch nach einem repräsentativen, einer vornehmen Gesellschaft angemessenen Bau, der letztlich „als peinliche Überraschung“ mehr als 733.000 Mark kostete.

Was gab es aber auch alles zu bestaunen: Kellereien und Wirtschaftsräume sowie eine Kegelstube und zwei Kegelbahnen im Untergeschoss, Eingangshalle mit der Geschäftsstelle und Sitzungszimmer für den Vorstand, Restaurationsräume für die Damen (!) im Erdgeschoss. Im ersten Obergeschoss Empfangs- und Konversationsräume, der große Speisesaal mit einem Spielzimmer, im zweiten Obergeschoss zwei Billardzimmer und verschiedene Spielzimmer. Drei Aufzüge! Spendable Stifter beteiligten sich an der prachtvollen Inneneinrichtung, u. a. für farbige Glasgemälde im Speisesaal und Stoffbespannungen (u. a. Paul Herfurth), Generalkonsul Alfred Thieme sr. schenkte ein Ölgemälde; kostbare Porzellane und edle Gläser gehörten zur Ausstattung, erstere eigens angefertigt – kurzum: nobel! Die bereits erwähnte Bibliothek indes konnte nicht überführt werden, weil, man staune, nicht nur zahlreiche Einzelwerke fehlten, sondern auch einzelne Bände aus längeren Reihen, die die honorigen Mitglieder auf immer „entliehen“ hatten.

Das Leipziger Tageblatt berichtete am 3. Oktober 1887 über die Eröffnungsfeier:

Leipzig, 2. October. Gestern in der Mittagsstunde wurde ein Gebäude sei­ner Benutzung übergeben, welches ganz geeignet ist, eine Zierde der Stadt zu bilden. Es ist das neue Clubhaus der Gesellschaft „Harmonie“ am Roßplatz neben dem Panorama-Gebäude. Dasselbe ist von Herrn Arwed Roßbach in reichem Renaissance-Stil erbaut und diesem Stil gemäß eingerichtet und mit allen, den Erfindungen der Neuzeit entsprechenden Bequemlichkeiten ausgestattet. In den Kellerräumen befinden sich außer den Weinkellern die Maschinen für Centralheizung, Ventilation und elektrische Beleuchtung, welcher jedoch auch Gasbeleuchtung zur Seite steht. …Die Eröffnungsfeierlichkeit gab Anlaß zum Erscheinen von etwa 200 Mitgliedern (Gäste waren bei dem privaten Charakter der Feier nicht geladen). Herr Bürgermeister Justizrath Dr. Tröndlin bot namens des für den Bau eingesetzten besonderen Ausschusses der Gesellschaft das Haus dem Vorstand zur Übernahme an… und schloß mit einem Hoch auf die Gesellschaft. Herr Reichsanwalt Stenglein übernahm hierauf in seiner Eigenschaft als Se­cretair der Gesellschaft das neue Haus, dankte allen am Bau Betheiligten und schloß mit einem Hoch auf Se. Mai. den König als Schützer und Beschirmer derjenigen socialen Zustände, welche den Bau möglich machten. Unter den Klängen des Festmarsches zog sodann die Festgesellschaft in die neuen Räu­me, besichtigte diesselben und endete mit einem Frühstück. Es gewann die allgemeine Überzeugung Raum, daß, wie Leipzig mit seinem Concerthause ein Unicum besitzt, auch dieses neue Clubhaus nur wenige Rivalen haben dürfte.“

Sogar König Albert und Königin Carola waren neugierig (1888).

Allerdings dürfte das zum ersten Festmahl im neuen Haus im Menü unter anderem angebotene „Cardy mit Rindsmark“ heutzutage weniger Appetit erzeugen… Und ebenso gelten inzwischen gottlob die Überlegungen, ob Mitglieder ihre Damen in die Kegelbahn mitbringen dürfen und ob das Billardspielen in Hemdsärmeln gestattet sei, nicht zu den allerwichtigsten.

 

Die Harmonie zwischen Gründerzeit und Inflation

Neues Haus, neuer Vorstand, was bleibt da nicht aus? Neue Satzung, neue Mitgliedsbeiträge.

Die engen Bestimmungen zur Zugehörigkeit der beiden Klassen wurden ebenso aufgehoben wie die Teilung des Vorstands in ebendiese und die Mitgliedsbeiträge wurden kräftig angehoben (100 Mark).

Die Beschäftigung eines Kastellans brachte in diesen Jahren manchen Verdruss, so dass schließlich, sicher mit Zähneknirschen, sogar eine Kastellanin angestellt werden musste. Jedoch nur, weil ihrem Mann und Vorgänger eine Pfändung drohte und man beide behalten wollte…

Zu Missständen hatte auch die Unterbringung der Kellner imneuen Haus geführt, vermerkt ist, „man habe sogar einen Kammerjäger bemühen müssen…“

Weiterhin gab es die beiden Festessen im Winterhalbjahr und eine schöne, schon als Wortschöpfung erwähnenswerte Veranstaltung: der „Sonnabendgegenabend-schoppen“ – O-Ton! Und nachahmenswert? Auch nach den Gewandhauskonzerten war das Haus geöffnet, sogar (1903) als weiteres Zeitzeichen: die Damen durften mit! Und, wer will es glauben: 1904 hatten diese sogar Zutritt zu den Gesellschaftsräumen. Allerdings, sehr praktisch gedacht: weil die Firma Polich dort einen Vakuum-Reiniger vorführte.

Der zahlreichen Schilderungen geselliger Veranstaltungen können wir uns enthalten. Wahrscheinlich war es der eher lockere Einfluss der Erholung, dass „auf Anregung des Vorstandes“ lose Liedlein abgesungen wurden, wie das folgende, und wer mag, singt mit; es geht nach der Melodie: „Ich bin der Doktor Eisenbart“:

Ihr Zecher ohne Unterschied

Valleralleri, juchhei,

Herbei und hört ein neues Lied,

Valleralleri, juchhei,

ein neues Lied von Suff und Wein,

Valleralleri, juchheirassa,

Und wems gefällt, der stimme ein,

Valleralleri, juchhei.

Solang’s hienieden Menschen gibt

so lang ist schon der Suff beliebt.

Er unterscheidet uns vom Vieh:

denn ein Kamel bekneipt sich nie.

Dagegen zechten, ohne Streit,

Die größten Weisen aller Zeit,

Wie ihr Verhältnis war zum Suff,

Wir singen jetzt – die Ohren uff!

Herr Buddha, der als Ält’ster gilt,

Wird mit sechs Händen abgebild´t

Meint Ihr, er hatte die zum Spaß?

In jeder hielt der Kerl ein Glas. „

Und so plätscherte das munter fort und wir können es bei dieser Kostprobe belassen.

Im ernsteren Teil wurden den Mitgliedern zuweilen auch Vorträge angeboten: Im November 1908 berichtete Marinepfarrer a. D. Wangemann (in dessen feudalem Pfarrhaus in Markkleeberg-West wir lange gewohnt haben) über „Intimes aus Samoa“. Na! Schade, dass wir ihn nicht hören konnten, den Vortrag von Dr. Ronniger, Oktober 1922: „Ein Ausflug in das unbegrenzte Reich der Steuern“! „Die deutsch-englischen Beziehungen in den Jahren vor dem Weltkriege“, ein weiteres Thema (1925).

Mit dem Ersten Weltkrieg hörten dann allerdings die Späße auf. Die Harmonie richtete einen billigen Mittagstisch für bedürftige Männer ein, ins Feld wurden gemeinsam „Liebesgaben“ verschickt und lediglich die Sonnabendabendessen blieben erhalten.

Vierzehn Harmonie-Mitglieder ließen im Krieg ihr Leben.

Katastrophal wirkte sich die Inflation aus. Zu Deckung notwendigster Ausgaben hatte der Vorstand der „Harmonie“ bereits ein Darlehen aufnehmen müssen, zahlreiche Mitglieder gewährten Handdarlehen, deren Höhe sich 1922 auf drei Millionen Mark belief. Dem Gedanken, daher das obere Stockwerk des Gesellschaftshauses zu vermieten, folgten stürmische Debatten, einstweilige Niederlegungen der Ämter durch den Vorstand und endeten schließlich durch die Bildung eines wertbeständigen Fonds in Höhe von 400 Dollar und der Beschluss, die Räume lediglich zur Benutzung während der Frühjahrs- und Herbstmesse zu vermieten (1923), führte zu einer gewissen Beruhigung der Gemüter.

Die Umrechnung der Papiermark in Goldmark muss für den Kassierer der Harmonie, wie für alle damals, ein schwieriges Kapitel gewesen sein. Betrug der Umfang der Gertrudstiftung 1914 347.328 Mark, ging sie nun durch Aufwertung der Anteile der Harmonie bei der Goldmarkeröffnungsbilanz mit 158.812 Reichsmark einher. Nun konnten weitere Unterstützungen gewährt werden.

1925 hatte die Harmonie 641 Mitglieder: acht Ehrenmitglieder, 548 ordentliche Mitglieder und 85 außerordentliche Mitglieder.

 

Harmonie in dunkler Zeit

Geneigte Leserin, lieber Leser,

nun wird es dunkel in Deutschland, in Leipzig und auch um unsere Harmonie. Vieles ist im Krieg verloren gegangen, wir wissen wenig über die Harmonie in jener Zeit.

Durch die Forschungen von Frau Dr. Beatrix Heinze kennen wir das Martyrium von Harmoniemitglied Walter Cramer:

Walter Cramer

Geb. am 1. 5.1886 in Leipzig hingerichtet am 14.11.1944 in Berlin-Plötzensee.

Walter Cramer war seit 1919 Geschäftsführer der Kammgarnspinnerei Gautzsch AG und seit 1923 Mitglied des Vorstandes der Leipziger Kammgarnspinnerei Stöhr & Co., als Mitglied der Männer des 20.7.1944 und Weggefährte des ehema­ligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler am 22.7. festgenom­men. Am 14.11.1944 wurde er in Berlin-Plötzensee gehenkt. Mitglied der Harmo­nie seit 1910.

In der Nähe seines früheren Wohnhauses in der Gustav-Mahler-Straße hat die Stadt Leipzig anlässlich seines 110. Geburtstages im Johannapark ein würdiges und überzeugendes Ehrenmal errichtet. Das Ehrenmal wurde am 27.11.1996 in Anwesenheit seiner Tochter, seiner Enkelin und weiterer Mitglieder der Harmonie und der Vertrauten feierlich enthüllt.

Auf der Südwestseite ist ein Auszug aus einem seiner Gefängnisbriefe zu lesen:

DER TOD EINES 58-JÄHRIGEN IST NICHT SINN / UND ZWECKLOS. WENN MAN MIR GEDENKEN / IN EHREN BEWAHRT, SO WIRD MAN ÜBER MICH / UND MEINE GESINNUNG, MEINE ARBEIT UND MEIN / HANDELN NACHDENKEN UND DANACH HANDELN. WALTER CRAMER“

1945 wurde die ehemalige Manteuffelstraße in Gohlis nach Walter Cramer umbenannt.

Weder im Stadt- noch im Staatsarchiv, noch in diversen Bibliotheken sind Akten über die Harmonie aus jener Zeit zu finden.

Aus diesem stillen und dunklen Meer ragen einsam zwei Innelchen: eine Mitgliederliste von 1937 und, viel später, die Kopie einer handgeschriebenen Einladung zur 200-Jahr-Feier 1976 durch Hermann Flemming, der gemeinsam mit seinem Bruder Walther nach 1948 zumindest innerlich die Erinnerung an die Harmonie hier in Leipzig festhielt. Wahrscheinlich sind alle Unterlagen vernichtet, verbrannt… wer weiß?

Autoren der Geschichte der Harmonie – Brigitte und Walter Christian Steinbach (2001)